Eine Frage der Ehre und des Anstands (2017) Wenn Kreuze fehlen

Der ehemalige Kirchhof in Kapline, Kreis Birnbaum in der Provinz Posen (Ausschnitt des Messtischblattes 3361 aus dem Jahr 1940)

Obwohl ich als Brandenburger schon seit meiner Jugend mehr oder weniger regelmäßig nach Polen gefahren bin, muss ich mir selbst zugestehen, erst im August 2013 das erste Mal wirklich in Polen gewesen zu sein. Denn mein Nachbarland zeichnet sich durch weit mehr aus, als durch Grenzmärkte, günstige Tankstellen und billige Kippen. Eine gute Woche war geplant, genauer gesagt nur 5 Tage. Meine Frau und die Kinder begleiteten mich, was mich freudig überraschte, da sie eigentlich genau wussten, dass die paar Tage definitiv Papas Urlaub werden. Sie genossen Polen auf eine andere Weise.

So freute ich mich sehr auf eine Reise hin zu den Orten, wo meine Kuss-Vorfahren und deren Familie seit Mitte des 18. Jahrhunderts gewirkt haben. Die Gegend meiner alten Sippe, von denen die meisten in der Forst- und Landwirtschaft tätig waren. Auf meiner Liste standen Kupker Mühle, Bukowiec, Bronitz, Kobusch, Altsorge, Bucharzewo, Pinne und Radegosch. Und so verschlug es mich eben in genau dieses Umland von Zirke (Sieraków), einer kleinen und liebevollen Stadt im ehemaligen Landkreis Birnbaum (Międzychód).

See bei Kupker Mühle (Jezioro Kubek, 2017)

Mein Urgroßvater Ernst Friedrich Kuß wurde am 12. Juli 1912 in Kupker-Mühle geboren. Dessen Vater Friedrich Wilhelm Kuß erblickte das Licht der Welt am 1. September 1881 in Kobusch, und dessen Vater Hermann Kuß stieß im Jahr 1822 in Bucharzewo ins Leben. Und die Linie geht weiter. Hermann’s Vater, der Arbeitsmann Johann Daniel Kuß, wurde im Jahr 1785 in Brenkenhofsbruch geboren. Er starb am 16. Mai 1861 in Groß Konin bei Pinne. Es gab Wanderungsbewegungen aus allen Richtungen, von der Neumark her, aus dem Tomischel, aus dem Grätz und aus dem Schneidemühler Raum. Und doch sind meine Kuss-Ahnen zuletzt gut 150 Jahre in der näheren Gegend geblieben, bis sie nach dem 1. Weltkrieg in den 200 km westlich gelegenen Seelower Raum zogen, was mich im weiteren Verlauf zu dem machte, was ich heute bin: Ein Brandenburger. Mein Sohn stellte sinngemäß in den Raum:

„Das war also hier die Kuss-Hood?“

Das wird man wohl so sagen dürfen. Und mit jeder Kuss-Familie, die ich erforschte, kamen neue Zweige hinzu: KURZWEG, KAISER, KRIESE, HERDER, ZIMPEL, FEHLBERG, SEIDE, ALSCHWEIG, SCHELSKE und viele mehr.

Gleich am ersten Tag erkundete ich die Gegend, allein. Meine Liebsten badeten derzeit vergnügt im Zirker See bei ordentlich August-Sonne und ich erreichte Bukowiec (kurzzeitig Treuenwalde). Das wusste ich jedoch erst später. Da ich mich im Kartenlesen sicher fühlte, wähnte ich mich nämlich in Bucharzewo. War ich aber nicht.

Ich stellte mein Fahrzeug ab, lief durch das Dorf (eine kleinere Bezeichnung finde ich nicht) und erreichte vollkommen zufällig einen alten deutschen Friedhof. Mein erster deutscher Friedhof in Polen überhaupt. Ich war beeindruckt, ich verweilte, genoss und dokumentierte nur beiläufig. Vorsichtige Schnappschüsse von lesbaren Steinen, mit Namen und Daten. Eine wertvolle Quelle für Ahnenforscher und Heimatkundler. Das erschloss sich mir recht schnell. Und so wurde aus einem romantischen Kurzurlaub eine jährliche Veranstaltung, die ich zwischenzeitlich schlicht Friedhofstour nenne. Irgendeinen Namen muss man dem Kind ja schließlich geben.

Viele wunderschöne Gräber habe ich seit dem entdeckt und auch dokumentiert, bis heute mehrere Hundert.

Dieses Jahr war ich wieder dort. Ein wenig erfahrener im Umgang mit Friedhöfen und Gräbern, auf jeden Fall routinierter, ohne dabei die Freude an Land und Leute zu verlieren. Dank meiner Google-Friedhofsmap erreichte und fand ich Orte schneller, die Dokumentation wurde bequemer und effektiver.

Am 22. August 2017 besuchte ich den Friedhof in Kaplin (früher Kapline). Eine freundliche und gut begehbare Ruhestätte am Ortsrand, im Wald, an einer vielbefahrenen Landstraße. Bis auf ein schwer lesbares Grab einer Minna fand ich nichts von genealogischem Wert. Ich entdeckte allerdings mindestens drei Füße von alten Metallkreuzen im Boden, die wohl sauber abgeflext wurden. So was zu sehen, tut weh und ich überlegte, warum die Metallkreuze entfernt wurden. Meistens ist das Plausible ja auch zutreffend und so kamen mir leider zuerst Schrottsammler in den Sinn. Der Friedhof ist abseits, keine Straßenbeleuchtung, man kommt schnell weg. Die Gelegenheit schafft Diebe? Sagt der Volksmund. Ob ich jedoch richtig liege, weiß ich natürlich nicht. Das kann gewiss auch andere Ursachen haben.

Aber so ein Restgeschmack bleibt leider doch…

So ein Metallkreuz ist recht groß und wahrscheinlich auch schwer. Doch lohnt es sich wirklich für ein paar Taler, ein Grab zu schänden? Was kriegt man dafür? Wieviel Euro, Zloty oder Rubel springen ab nach so einer Aktion? Selbst wenn es lukrativ ist: so was macht man einfach nicht. Das ist ehrlos. Diese Kreuze wurden einst gesetzt, damit man sich auch später noch erinnert, wer an dieser Stelle seine letzte Ruhe fand. Die Toten können sich nicht wehren, Tote verdienen Ruhe und Respekt, ob man nun mystisch veranlagt ist oder nicht.

So wie damals vielleicht die Eltern von Helene Elisabeth KLICHE, die ihrer geliebten Tochter im März 1885 in Groß Luttom ein Kreuz aufs Grabe stellten, das bis heute noch an ihr kurzes Dasein erinnert, sie wurde 4 Monate alt. Und ihr Kreuz verscherbelt man nicht…

Meine Eindrücke vor Ort habe ich mit der Kamera kurz festgehalten. Und damit wir uns nicht falsch verstehen; das ist kein Polen-Bashing. Ich liebe Land und Leute und werde seit Jahren dort freundlich behandelt. Die Nationalität der Grabräuber, wenn es denn welche waren, interessiert mich nicht. Ob nun Polen, Deutsche oder Russen. Menschen, die schnell Kasse machen wollen und dabei über Leichen gehen, was in dem Fall ironischerweise sogar zutreffen könnte, findet man in jedem Land der Erde. Das so etwas kriminell ist, steht außer Frage. Aber es muss doch noch sowas wie Gaunerehre geben?

 

 

3 Kommentare

  1. Hallo, MEIN Friedhof in Trebaczow (Trembatschau) wird vorbildlich von den Dorfbewohnern gepflegt und erhalten. Aber leider interessiert sich kein Schlesier-Nachfahre und so stehe ich mit meiner Familie seit Jahren alleine da um den Erhalt zu gewährleisten – Traurig für DEUTSCHE!

    Gruß Otto

    • Lieber Otto. Danke für Deinen Kommentar und Dein Engagement in der alten Heimat. Ich kann Deine Eindrücke bestätigen. Auch ich habe sehr viele Ruhestätten gefunden, die gepflegt wurden und werden. Ebenso wie Friedhöfe, auf denen Müll und Kompost abgelegt wird. Ich habe da schon eine klare Meinung zu. Während bei uns Gräber nach einigen Dekaden platt gemacht werden, muss man auch ein wenig Verständnis dafür aufbringen, dass ein lebenslanger Erhalt alter deutscher Friedhöfe eben nicht zu stämmen ist. Sie sind vergänglich. Umso wichtiger ist, dass was heute noch zu finden ist, zu dokumentieren und zu veröffentlichen.

      Solltest Du den Friedhof in Trembatschau mal dokumentiert haben, die Fotos nehme ich sehr gerne (kuss@email.de) und benenne Dich selbstverständlich als Urheber.

      Viele Grüße, Daniel

  2. Hallöchen, voller Erstaunen fand ich eben diesen Eintrag. Super! SCHELSKE????? Ein großer Teil meiner Verwandtschaft heißt/hieß so, meine Urgroßmutter Ernestine Kubsch war eine geborene Schelske. Sie wohnte mit ihrer Familie um die Jahrhundertwende 19./20. Jh in Striche, nahe Birnbaum. Meine Schwester und ich sind seit einigen Jahren beim recherchieren, wissen aber nicht so richtig, wo wir anfangen sollen und suchen auch nach Friedhöfen in der Umgebung von Striche Dorf, Neugrund, und Umgebung, haben aber bisher NICHTS für uns verwertbares gefunden. Umso mehr freue ich mich, dass andere mehr Glück haben. LG Gabi

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