Opferdatenbank: Totenbuch KZ Sachsenhausen (1936-1945) 21.925 Datensätze

Wahrscheinlich würde ich an dieser Stelle sonst wie gewohnt den Artikel mit einer „für Ahnenforscher, Genealogen und Heimatkundler ergiebigen Datenbank“ einleiten. Und dabei habe ich das irgendwie mit der Titelwahl schon getan. Sachlich, beschreibend, emotionslos. Sind Genealogen eigentlich kalt? Oder anders: Können Datenbanken auch mal nicht kalt sein? Lautdenken, das führt zu nichts. Ich habe im Jahr 2017 im Rahmen meiner Ahnenforschung das Totenbuch KZ Sachsenhausen bereits besucht. Der Internetauftritt ist markant, düster und künstlerisch. Ich erkannte sie wieder und folgte dem Link zu einer Datenbank mit 21.925 Datensätzen.

Üblicherweise studiere ich in Archiven Personenstandsregister und Kirchenbücher. Dazu gehören auch Sterberegister. Nicht selten bleibe ich bei dem einen oder anderen Namen hängen und denke mir: „Die ist aber früh gestorben, die Kleine.“ Lese ich auf nur wenigen Seiten eines Sterberegisters von  Schicksalen, wie bspw. einer Familie, die in einem harten Winter gleich mehrere Kinder verloren hat, bin ich echt dankbar, in guten und friedlichen Zeiten zu leben. Und wenn mich beim Studium alter kirchlicher Totenbücher das Gefühl nicht loslässt, dass uneheliche Säuglinge auffallend häufiger gestorben sind als eheliche Kinder, dann bilde ich mir meine unbelegte subjektive Meinung. Ich habe keine persönliche Verbindung zu diesen Menschen. Ihr Schicksal macht mich nicht betroffen. Es lässt mich aber auch nicht kalt. So wie in diesem Fall, beim Totenbuch KZ Sachsenhausen. Erst das Geleitwort von Pierre Gouffault brachte mich letztendlich auf das, was in meinem Hinterkopf schlummerte, ich aber nicht abrief:

Freunde, die dieses Buch öffnen, Sie öffnen das Tor eines Friedhofs ohne Grabstätte. Die Toten von Sachsenhausen haben nur diese Seiten, die zu schwach sind, ihre so zahlreichen Namen zu tragen, deren Erinnerung von nun an wie eine heilige Reliquie aufbewahrt werden wird.

Gänsehaut… Das ist keine der üblichen Datenbanken. Der Besuch des digitalen „Totenbuch KZ Sachsenhausen“ ist zugleich ein virtueller Friedhofsbesuch. Und in dem Augenblick, in dem Du „abfragst“, betrittst Du ihn. Opfer, die sonst nur in kalten hochstelligen Zahlen verschwinden, können hier tatsächlich gefunden werden. Berührt haben mich auch die Geleitworte von Roger Bordage, der das Konzentrationslager überlebte und von 2010 bis zuletzt Präsident des Internationalen Sachsenhausen Komitees war. Er starb im August 2017 im Alter von 92 Jahren.

Für ihre Familien und für ihre Angehörigen gibt es nichts Schmerzhafteres als nicht zu wissen, wann das geliebte Wesen sie endgültig verlassen hat. Nichts ist belastender als nicht zu wissen, unter welchen Umständen dieses geliebte Wesen gestorben ist. Viel zu lange waren unsere verschollenen Kameraden Teil einer gewissen Todeszahl, einer anonymen, abstrakten Zahl, losgelöst von jedem Sinn, außer demjenigen der Ermittlung des Ausmaßes des Verbrechens. Jetzt haben sie einen Namen. […]

Bereits seit August 2014 ist das Totenbuch im Netz. Laut dem Brandenburgischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur beruht das Werk „im Wesentlichen auf der Auswertung der überlieferten SS-Dokumente aus der Kommandantur des KZ Sachsenhausen“. Zudem wurden weitere Primärquellen zur Erschließung herangezogen:

Die zahlreichen Mitwirkenden sind auf der Impressumsseite vom Totenbuch aufgeführt. Wer hier ernsthaft an der Entstehungsgeschichte interessiert ist sollte dort also nicht nur die Datenbank abrufen. Eine kurze Anleitung zur Datenbankabfrage findet sich dort über den Reiter Benutzungshinweise. Ein paar Tipps zur Suche gebe ich Euch dennoch:

Anleitung:

In den meisten Fällen dürfte die Suche nach einem Familiennamen beginnen. Groß und Kleinschreibung sind hier nicht relevant. Gebt den Namen (oder ein Fragment) im Feld Name ein und startet über Enter oder die darunter befindliche Schaltfläche Eure Suche. Das Ergebnis wird sogleich darüber gelistet. In meinem Fall ergab die Suche nach „Kuss“ zwei Treffer, nämlich Kuss und Kussel.

Ich bin an Kuss interessiert also klicke ich auf das Suchergebnis und erhalte weitere Informationen. In diesem Fall Ludwig Kuss, der am 10.08.1907 in Hörzendorf/Glan geboren wurde und am 04.05.1940 starb. Er hatte die Häftlingsnummer 17399. Darunter ist zu lesen „Wenn Sie wegen dieser Person Kontakt mit der Gedenkstätte aufnehmen möchten, klicken Sie bitte hier“. In dem Fall kann über mailto direkt per E-Mail angefragt oder ergänzt werden. Die Betreffzeile sollte idealerweise so belassen werden.

Eine weitere Abfragemöglichkeit bietet sich über die Suche nach dem Geburtsort. Ich habe Amsterdam gewählt und 178 Treffer erzielt. Da die Ergebnisse auf 13 Datensätze pro Seite limitiert sind muss ggf. über die Pfeile geblättert werden.

Neben Namen und Geburtsort ist eine Suche nach dem Geburtsdatum möglich. Auch hier ist keine scharfe Angabe erforderlich, es lässt sich auch nach dem Geburtsjahr oder Monat und Jahr (02.1920) recherchieren. In diesem Beispiel wurde nach Menschen gesucht, die im Jahr 1919 geboren wurden; insgesamt 642. Das brachte mich auf die Idee, nach jungen Opfern zu recherchieren, so dass ich vom Geburtsjahr 1936 abwärts suchte. Den jüngsten Menschen im Totenbuch habe ich auf diese Weise ausgemacht: Maurice Cohen, geb. 26.01.1931 in Paris. Er starb zwischen dem 2. und 4. Februar 1945 im Außenlager Lieberose. Er ist 14 Jahre alt geworden.

Bei dem vorherigen Beispiel ist (anders als bei meiner Suche nach Ludwig Kuss) der Sterbeort nicht Sachsenhausen, sondern AL Lieberose. Über den Reiter Sterbeorte gelangt man zu einer weiteren Auflistung. Hier müsst Ihr Euch dann über die Pfeile durchklicken, was sich jedoch lohnt, da ihr weitere Informationen zum Sterbeort erhaltet.

Fazit:

Der Internetauftritt „Totenbuch des KZ Sachsenhausen“ der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen hat auf mich zunächst düster gewirkt. Er hat in seiner funktionierenden Schlichtheit jedoch schnell neugierig gemacht und gefesselt. Keine störenden oder unnützen Elemente wie Werbung oder Registrierungen. Kein Klimbim und Datenhunger. Keine Anglizismen, Neusprech oder Hashtags. Vielleicht begeisterte mich unbewusst eben diese von den Entwicklern gewählte Fokussierung auf das Wesentliche ohne dabei auf eine künstlerische Gestaltung verzichtet zu haben. Die Nutzung der Datenbank kann Forschung und Erinnerungskultur zugleich sein. Bei mir war es so. Das ist, gerade im Lichte des Zeitlosen, eine sehr wertvolle Datenbank, die hoffentlich durch Ergänzungen von außen am Leben erhalten wird und weiter wächst. Vor diesem Hintergrund sollte jeder, der zu den Toten ergänzen kann seine Informationen nicht zurückhalten. Das Totenbuch hat Vorbildwirkung und ein bisschen auch Pioniercharakter in der digitalen Aufarbeitung deutscher Geschichte. Es entfaltet daneben Heimatkunde von einer anderen Seite. Gefallen hat mir die Darstellung in mehreren Sprachen. Es wäre schön, wenn das Totenbuch irgendwann einmal über Englisch, Französisch und Polnisch hinaus auch in weiteren Sprachen zu lesen ist. Mir sind in dem Zusammenhang spontan Hebräisch, Russisch, Tschechisch und Holländisch in den Sinn gekommen, wobei diese Aufzählung keineswegs abschließend sein dürfte.

Vielen Dank dafür an die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten.

Dieser Artikel erschien erstmals am 28.02.2018 auf Genealogie.digital. Er wurde überarbeitet und aktualisiert. 

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